Die Karriereschmiede «WorldSkills»
Während früher nur die Zimmerleute auf die «Walz» ins Ausland gingen, können heute Lernende und Studenten aus allen Branchen Auslandserfahrungen sammeln. Die Agentur für Internationale Bildungsangelegenheiten (AIBA) unterstützt junge Menschen dabei. Wer von den Förderungen aus den EU-Töpfen profitieren und an der Karriereschmiede «WorldSkills» teilnehmen kann, erklärt Stefan Sohler, Geschäftsleiter der AIBA im Interview.
Seit zehn Jahren gibt es die AIBA. Ich denke, viele Leute wissen, dass es diese Stelle gibt, aber kaum jemand weiss, was Sie eigentlich tun. Woran liegt das?
Stefan Sohler: Wir fördern die wichtigste Ressource Liechtensteins – die Bildung in einem internationalen Kontext. Das europäische Bildungs-, Jugend- und Sportprogramm «Erasmus+» wie auch die «WorldSkills» sind unter ihren Bezeichnungen in Liechtenstein sehr gut verankert. Die AIBA ist die Dachorganisation und blieb bislang eher im Hintergrund. Bisher hatte die AIBA kein eigenes Logo, sondern trat mit dem Landeswappen auf. Jetzt, 10 Jahre nach der Gründung, liegt die erste Wachstumsphase hinter uns, die AIBA hat sich als Kompetenzzentrum im Bereich der internationalen Bildung in Liechtenstein etabliert. Das neue Logo und die neue Homepage stärken die Identität der AIBA und stellen die Weichen für die zukünftigen Entwicklungen.
Also, was konkret tun Sie?
Wir betreuen die bedeutendsten internationalen Bildungsprogramme auf alle Bildungsebenen verteilt für Liechtenstein. Zur Förderung von Bildungsprojekten stehen der AIBA im Programm «Erasmus+» jährlich mehrere Millionen Euro an europäischen Geldern zur Verfügung. Damit fördern wir liechtensteinische Bildungsprojekte mit einer europäischen Ausrichtung. Die Vergabe dieser Fördermittel erfolgt unter strengen Richtlinien. Ein zweites zentrales Geschäftsfeld der AIBA sind die «WorldSkills», die Berufsweltmeisterschaften, die alle zwei Jahre in einem anderen Land stattfinden. «WorldSkills» Liechtenstein betreut und trainiert die besten Berufsleute vom Werkplatz Liechtenstein aus den Bereichen Handwerk, Industrie und dem Dienstleistungssektor für diesen weltweit grössten Berufsbildungsanlass. Einen dritten Bereich stellt der EWR-Finanzmechanismus dar, in welchem wir für die Bildung zuständig sind. Als viertes Geschäftsfeld betreut die AIBA den «NQFL», den nationalen Qualifikationsrahmen Liechtenstein, mit welchem die Vergleichbarkeit und Transparenz von Bildungsabschlüssen erhöht wird. Abschliessend erwähne ich das Programm «eTwinning», welches eine Online-plattform für Lehrpersonen ist.
Komplexität bringt die internationale Ebene auch einfach mit sich, oder?
Ja, die Internationalität erhöht die Komplexität. Im Jahr 2000 übernahm ich die Betreuung der europäischen Bildungsprogramme und seither hat sich die Komplexität aufgrund der Vervielfachung der verwalteten Fördermittel, zusätzlicher Compliance-Vorschriften, aber auch der Digitalisierung erhöht. Die Digitalisierung vereinfachte die Antragsstellung für den Kunden, jedoch stiegen im Hintergrund die Anforderungen im Bereich der Verwaltung und Betreuung dieser Programme enorm. Diese Faktoren machen die Tätigkeiten komplex und anspruchsvoll. Die AIBA agiert wie eine Drehscheibe: Wir sammeln, koordinieren und bereiten die vielen Informationen für unsere Zielgruppen auf. Ich kann aus Überzeugung festhalten, in der AIBA kommt keine Routine auf.
Wie hat sich die AIBA in den zehn Jahren seit der Gründung verändert?
Neue Programme sind hinzugekommen und bereits bestehende sind gewachsen. Ausserdem haben sich die Finanzmittel völlig verändert. Mit «Erasmus+» haben wir knapp vier Mal mehr Fördermittel zur Verfügung als im Vorgängerprogramm. Gewachsen ist die AIBA auch personell, um die gestiegenen Anforderungen und Vielfältigkeit der Programme abdecken zu können. Wo früher noch mit Papier gearbeitet wurde, geht heute vieles digitalisiert vonstatten. Der Kontrollbedarf seitens der EU stieg deutlich. Gleichzeitig verfügen wir über mehr Autonomie. Eine weitere Dimension ist, dass durch unsere Bildungsangebote immer mehr Wissen vermittelt wird. Zusätzlich hat sich bei den «WorldSkills» ebenfalls vieles verändert. Waren es im Jahr 2007 in Japan noch knapp 700 Teilnehmer aus 40 Ländern so sind es zehn Jahre später, in Abu Dhabi, schon über 1300 Teilnehmer aus 76 Staaten.
Wer kann von Ihrem Angebot profitieren?
Unsere Endkunden sind Lehrpersonen, junge Fachkräfte, Ausbildner, Studenten, Dozierende oder Personen, die in der Erwachsenenbildung tätig sind. Sie kommen jedoch nicht direkt zu uns, sondern sind einer Institution zugehörig. Beispielsweise ist ein Student an einer Universität eingeschrieben und ein Schüler einer Schule zugeordnet. Früher konnten Lehrpersonen direkt einen Einzelantrag stellen. Heute reichen die entsprechenden Organisationen, sprich die Schulen, Vereine, Unternehmen etc., die Förderprojekte ein. Der grosse Vorteil liegt darin, die Organisationen erhalten die Fördermittel und können die «Erasmus+»-Projekte zielgerichtet für deren strategische Entwicklung einsetzen. Studierende profitieren bei einem Auslandssemester zusätzlich vom Prinzip der Studiengebühren an der Heimuniversität. Während eines Auslandssemesters werden weiterhin nur die Studiengebühren an der Heimuniversität bezahlt und es entstehen keine zusätzlichen Gebühren an der Gastuniversität im Ausland.
Welches sind die spannendsten Projekte, die von der AIBA gefördert werden?
Jedes Projekt ist spannend. Ich greife von jedem Bildungsbereich eines heraus: Im Schulbildungsbereich analysiert eine Liechtensteiner Schule zusammen mit Institutionen aus Deutschland und Schweden das faszinierende Thema Olympia aus verschiedenen Blickwinkeln. Im Berufsbildungsbereich führt seit Neustem eine künstlerisch orientierte Bildungseinrichtung Mobilitätsprojekte durch. Dieses Mobilitätsprojekt fördert in verständlicher Weise den internationalen Austausch und Dialog mit Künstlern und Bildungsverantwortlichen. Die Universität Liechtenstein nutzt das Programm «Erasmus+» zur internationalen Vernetzung und zum Wissenstransfer. Eines der laufenden «Erasmus+»-Projekte greift das Thema der «Finanzierung der Altersvorsorge» auf. Hier arbeitet die Universität Liechtenstein mit der Universität Bozen und einem dänischen Softwarespezialisten zusammen. Im Erwachsenenbildungsbereich wird in einem Projekt das Instrument Geocaching genutzt, um mit computerbasierter Technologie Wissen über Ausbildungsbetriebe sowie Weiterbildungsmöglichkeiten zu informieren.
Um nochmals auf die Berufsweltmeisterschaften, die «WorldSkills», zurückzukommen, welche ein zentraler Aufgabenkreis der AIBA sind: Welche Bedeutung hat dieser Wettkampf für Liechtenstein?
«WorldSkills» hat sich in den letzten zehn Jahren zur weltweit grössten Berufsbildungsplattform entwickelt. Mit unseren optimal vorbereiteten jungen Berufsleuten werden der Werkplatz und das Land Liechtenstein von der besten Seite präsentiert. Die Berufsweltmeisterschaften bieten unseren jungen Fachleuten die Möglichkeit, sich international zu messen. Dies ist ein wertvoller Indikator für die duale Ausbildung und die von «WorldSkills» Liechtenstein angebotene Weiterbildung. Liechtenstein liegt weit vorne im Länderranking. Gegenwärtig belegen wir den grossartigen siebten Nationenrang. Die Verteidigung eines Top-10-Ranges wird, aufgrund der vielen teilnehmenden Nationen, zunehmend schwieriger. Viele Staaten überraschen mit Spitzenleistungen. Die Grossmacht China beispielsweise ist erst seit den Weltmeisterschaften 2011 in London dabei und wurde im dritten Anlauf bereits die drittbeste Nation. Im Jahr 2019 ist Russland der Gastgeber für die Berufsweltmeisterschaften in Kasan.
Seit 1968 ist Liechtenstein Mitglied der Organisation «WorldSkills», wie viele Berufsleute haben seither teilgenommen und wie viele Medaillen konnten sie mit nach Hause nehmen?
Die Erfolgsgeschichte von «World-Skills» Liechtenstein ist einzigartig. Im Jahr 1968, in Bern, nahmen drei Teilnehmer aus Liechtenstein teil und die erste Bronzemedaille wurde gewonnen. In den knapp 50 Jahren kämpften 180 junge Fachkräfte für den Werkplatz Liechtenstein an den «WorldSkills». Die Medaillenbilanz fällt mit 16 Mal Gold, 13 Mal Silber und 20 Mal Bronze äusserst positiv aus. Neben diesen 49 Medaillen erkämpften sich unsere Teilnehmer 66 Leistungsdiplome. Gegenwärtig absolvieren fünf Teilnehmer die intensive Trainingsphase für die «World-Skills» in Abu Dhabi. Wir sind gespannt, ob für das 50-Jahr-Jubiläum von «WorldSkills» Liechtenstein im kommenden Jahr auch die 50. Medaille präsentiert werden kann.
Wie ist der aktuelle Stand der Vorbereitungen für die «WorldSkills» in Abu Dhabi?
«WorldSkills» Liechtenstein hat für die Vorbereitung der jungen Berufstalente ein sogenanntes Stufentraining entwickelt. Dabei steht das Fachliche sicherlich im Zentrum, jedoch erleben unsere Teilnehmer im Training, dass der Geist, das Mentale und die Fitness in einem ausgewogenen Mass zusammenspielen müssen. Gegenwärtig bereiten sich die Teilnehmenden in berufspezifischen Fachtrainings vor. Dabei wenden sie die gelernten Techniken zur Fokussierung, Konzentration und Entspannung an. Vom 21. bis 24. Juni absolvieren die Teilnehmer für die «WorldSkills» in Abu Dhabi die Generalprobe in der Spoerry-Halle in Vaduz, ein wichtiger Meilenstein. Jeweils am Nachmittag und am Samstag ab 9 Uhr kann den jungen Berufstalenten über die Schulter geblickt werden.
Sie selbst haben auch schon eine Medaille als Feinmechaniker gewonnen. Wie hat Ihnen diese Auszeichnung für Ihre weitere berufliche Karriere genutzt?
Ja, das ist schon lange her (lacht). Im ersten Moment denkt man, gut, jetzt hast du diese Medaille gewonnen, das ist natürlich ein überwältigendes Gefühl. Das Bewusstsein für den Mehrwert einer erfolgreichen Teilnahme folgt zeitverzögert. In der harten Vorbereitung und im Wettkampf eignet sich jeder Teilnehmende die Kernkompetenzen an, die im Berufsleben wichtig sind. Sei dies, Entscheidungen unter höchster Anspannung zu treffen, nach Misserfolgen im Training noch motivierter aufzustehen, konsequent ein Ziel zu verfolgen oder hartnäckig zu bleiben. Die Vorbereitung und Teilnahme an den Berufsweltmeisterschaften zählt im Lebenslauf zu etwas Besonderem. Ich bin überzeugt, «WorldSkills» ist ein Türöffner auf nationaler wie auch internationaler Ebene. Mich hat die Teilnahme dazu motiviert, neues Wissen im Studium anzueignen und dieses kombiniert mit meinen Erfahrungswerten an topmotivierte Fachleute weiterzugeben. Als Geschäftsführer der AIBA kann ich diesen Wissenstransfer für den Bildungsstandort Liechtenstein optimal umsetzen.
Wie hat sich der Stellenwert der Berufsbildung in Liechtenstein seit Ihrer «WorldSkills»-Teilnahme verändert?
Als ich damals an den «WorldSkills» teilgenommen habe, war alles viel kleiner dimensioniert und es gab weniger Weiterbildungsoptionen als heute. Auch die Lerninhalte der Berufsbildung haben sich durch die neuen Technologien stark verändert. Das grosse Bildungsangebot kann aber auch zu einer Überforderung bei der Berufs- oder Studienwahl führen. Daher ist es wichtig, dass bei der Entscheidung für die berufliche Erstausbildung immer die Begeisterung für den gewählten Beruf im Vordergrund steht. Die Berufsbildung von heute bildet aufgrund der erfolgten Reformen den optimalen Ausgangspunkt für eine spannende Berufskarriere. Mit einer BMS stehen alle Türen für ein Studium offen.
Quelle: Liechtensteiner Volksblatt